Selbstachtung und die Vater-Sohn Beziehung

„Selbstachtung ist die Fähigkeit, sich selbst wertzuschätzen und mit Würde, Liebe und Realismus zu behandeln.“ Auf diese Weise beschreibt Virginia Satir die für ein gutes Leben so wichtige Selbstachtung. Ein Grundstein für die Entwicklung des Selbstwertes oder der Selbstachtung wird in der Kindheit und der Jugend gelegt. Hierbei wiederum hat die Familie als zentrales Bezugssystem einen erheblichen Einfluss.
Je nach vorherrschender Familienatmosphäre, können wir unseren Kindern zu einer guten Ausgangslage beim Aufbauen des Selbstwertes verhelfen oder eine Hürde bei der Erlangung derselben sein.
Gefühle des eigenen Werts können sich, so Virginia Satirs Überzeugung, nur dann entwickeln, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Dazu gehört, dass individuelle Unterschiede innerhalb der Familie gewürdigt werden, Gefühle der Kinder ernst genommen werden, Liebe zum Ausdruck gebracht wird, die Möglichkeit besteht aus Fehlern zu lernen und ehrlich miteinander umgegangen wird.
Im Gegensatz dazu ergeht es Kindern, bezüglich ihres Selbstwertes weniger gut, wenn sie für ihr Anderssein kritisiert werden, keine Zuneigung oder Wertschätzung spüren, unaufrichtige Kommunikation erfahren, hart für Fehler bestraft werden und keine Gelegenheit haben, Verantwortlichkeit zu erlernen.
Ich möchte hier den Vater als wichtige Bezugsperson für meinen kurzen Beitrag herausnehmen.
Die Beziehung zu ihm als Identifikationsfigur ist gerade bei männlichen Kindern und Jugendlichen ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung, wie etliche Studien zeigen.
In meine Beratungsstunde kommen überwiegend junge Männer und Jugendliche. Viele von ihnen berichten von Schwierigkeiten mit ihren Vätern, von denen sie wenig oder gar keine Wertschätzung erhalten. Ihr häufig mangelndes Selbstwertgefühl und das daraus resultierende auffällige Verhalten steht, meiner Ansicht nach, in direktem Zusammenhang mit dem ungedeckten Bedarf an väterlicher Zuwendung.
Ich erinnere mich an einen Fall bei dem ein Vater seinen jugendlichen Sohn bei einem der wenigen Treffen so sehr zu sportlicher Höchstleistung drängte, dass dieser kaum noch seinen Körper spürte. Die Mutter kam damals aufgrund schulischer Probleme mit dem Sohn in die Beratung. Der getrenntlebende Vater schaffte es nach dieser Tortur offenbar nicht einmal die Leistung des Sohnes lobend zu würdigen. Das auffällige Verhalten in der Schule, als Ruf nach Anerkennung und Wertschätzung war die logische Konsequenz.
In einem anderen Fall waren Vater und Sohn gemeinsam anwesend. Der Vater beanstandete permanent die Faulheit und Unfähigkeit des Sohnes. Immer wieder forderte er mehr Leistung von seinem Sohn ein. Es schien für ihn kein anderes Thema als die Schule zu geben. Als ich den Sohn fragte, was er seinem Vater gerne sagen würde, antwortete er mit Tränen in den Augen: “Ich will nur, dass er mich sieht.”
Die beschriebenen Fälle sind für mich beispielhaft für die Thematik vieler junger Männer deren Väter mit hohen Erwartungen nach Europa eingewandert sind. Die Väter sind nicht selten an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert. Sie können aus den verschiedensten sozioökonomischen, kulturellen und psychologischen Gründen nicht das starke Familienoberhaupt sein, das sie ihrem Rollenbild entsprechend sein müssten. Daraus resultieren besonders hohe Anforderungen an die Söhne, wenn es um Stärke, Leistung und vermeintliche Männlichkeit geht. Das Spannungsfeld, das zwischen väterlichen Forderungen und gesellschaftlicher Realität entsteht, ist für viele junge Männer eine enorme Belastung. Als Ersatz für die ausbleibende Wertschätzung des Vaters wird versucht, die Bestätigung auf anderen, häufig gesellschaftlich schlecht verträglichen Wegen zu erlangen.
Meine praktische Erfahrung hat mir gezeigt, dass gerade die Arbeit am positiven Selbstwert hier einen großen Effekt haben kann.
Quelle: Satir Virginia (1990): Kommunikation, Selbstwert, Kongruenz. Junfermann, Paderborn
Mag. Junis Mazarweh arbeitet als Lebens- & Sozialberater und Religions-Pädagoge in Wien. Sein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Männern und Jugendlichen.